Die Rechtslage bei Online-Sportwetten: Chancen auf Rückforderungen für Spieler:innen
Die Welt der Online-Sportwetten ist von rasanten Entwicklungen und einer komplexen rechtlichen Lage geprägt. Viele Spieler:innen haben in den vergangenen Jahren erhebliche Verluste erlitten, oft ohne sich der Tatsache bewusst zu sein, dass das deutsche Glücksspielrecht ihnen möglicherweise ein Rückforderungsrecht einräumt. Gerade im Zuge der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ergeben sich nun interessante Perspektiven für Betroffene. Dr. Thomas Schulte, Rechtsanwalt aus Berlin und erfahrener Experte im Glücksspielrecht, beleuchtet die aktuelle Situation und zeigt auf, welche Wege für Geschädigte offenstehen.
Illegale Praktiken von Wettanbietern – ein Milliardengeschäft
Online-Sportwettenanbieter wie Tipico oder BWin haben über Jahre hinweg ein System aufgebaut, das sich nicht immer in Einklang mit deutschem Recht befindet. Lange Zeit agierten diese Anbieter in einem rechtlichen Graubereich – insbesondere vor 2020, als mit dem Dritten Glücksspieländerungsstaatsvertrag erstmals die Möglichkeit geschaffen wurde, flächendeckende Glücksspiellizenzen für Online-Sportwetten zu beantragen. Bis dahin waren viele der von ausländischen Unternehmen betriebenen Angebote auf dem deutschen Markt illegal.
„Es gibt klare gesetzliche Vorgaben“, erklärt Dr. Schulte. „Ein Anbieter, der nicht über eine deutsche Konzession verfügt, handelt schlicht und einfach illegal. Das bedeutet rechtlich gesehen, dass die geschlossenen Wettverträge von Anfang an nichtig sind.“ Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) kennt für solche Fälle eindeutige Regelungen: Ist ein Vertrag ungültig, müssen die erbrachten Leistungen zurückgewährt werden. Für Spieler:innen könnte dies folglich bedeuten, dass sie verlorenes Geld zurückfordern können.
Die Entscheidung des BGH als Wendepunkt
Die Rechtsprechung im Bereich der Online-Sportwetten war lange uneinheitlich. Während einige Gerichte zugunsten der Spieler:innen entschieden, folgten andere eher der Argumentation der Wettanbieter. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich nun im März 2024 erstmals in einem 25-seitigen Hinweisbeschluss explizit zur Rückforderung von Spielverlusten geäußert – und dies äußerst spielerfreundlich.
In dem konkreten Fall hatte ein Spieler rund 12.000 Euro bei einem österreichischen Anbieter verloren und klagte auf Erstattung. Der BGH stellte klar, dass Verstöße gegen den Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV), etwa das Fehlen einer Lizenz oder die Missachtung von Einzahlungslimits, ein erhebliches rechtliches Problem für die Anbieter darstellen. „Die Entscheidung des BGH ist ein klares Signal“, betont Dr. Schulte. „Selbst wenn der Glücksspielbetreiber seine Revision zurückgezogen hat und somit kein abschließendes Urteil erging, sind die Feststellungen des BGH für die unteren Instanzen bindend.“
Spieler:innen, die in ähnlicher Weise Opfer illegaler Wettangebote geworden sind, können daher berechtigte Hoffnung haben, ihr Geld zurückzubekommen. Das schafft eine völlig neue Ausgangslage für viele Geschädigte, die bislang wenig Chancen sahen, sich rechtlich zur Wehr zu setzen.
Wann sind Rückforderungen möglich?
Die Möglichkeit, verlorenes Geld zurückzufordern, ist je nach Fall unterschiedlich. Entscheidend ist in erster Linie die Lizenzfrage. Wer bei einem Anbieter gespielt hat, der vor 2020 keine deutsche Konzession hatte, kann sich auf die Nichtigkeit des Wettvertrages berufen. Der § 134 BGB besagt: „Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.“ Da die Veranstalter vor 2020 ohne Konzession tätig waren, ergibt sich daraus die Rechtsfolge, dass die abgeschlossenen Verträge hinfällig sind.
Es gibt jedoch weitere Verstöße, die ebenfalls Rückforderungsansprüche begründen können. So sieht der Glücksspielstaatsvertrag in § 6c ein Einzahlungslimit von monatlich 1.000 Euro pro Spieler:in vor. Die Anbieter sind verpflichtet, dieses Limit zu kontrollieren und sicherzustellen, dass es nicht überschritten wird. Viele Wettplattformen haben jedoch diese Pflicht missachtet, indem sie es Spieler:innen ermöglichten, weit höhere Beträge einzuzahlen und zu setzen. Dr. Schulte dazu: „Wenn ein Anbieter gegen diese Vorgabe verstößt, verstößt er gegen wesentliche Auflagen, die für den Erhalt einer Konzession notwendig sind. Das kann zur Folge haben, dass Spieler:innen ihre Einsätze zurückverlangen können.“
Ähnlich problematisch ist das sogenannte Cash-Out-Verfahren. Zwar wurde es als Service gegenüber den Spielern verkauft, tatsächlich jedoch handelt es sich dabei um eine Praxis, die vom Glücksspielstaatsvertrag explizit untersagt wurde. Die Anbieter bieten Spielenden an, ihre Wetten noch vor Spielende gegen eine niedrigere Auszahlung aufzugeben – oft zu einem äußerst ungünstigen Preis für die Wettenden. Auch hier sieht Dr. Schulte einen klaren Ansatzpunkt für Ansprüche gegen die Anbieter: „Das Cash-Out-Modell ist eine Grauzone gewesen, die jetzt endgültig als illegal einzuordnen ist. Wer unter solchen Umständen Verluste gemacht hat, kann berechtigte Rückforderungsansprüche durchsetzen.“
Europarechtliche Fragen offen – Was sagt der EuGH?
Neben den klaren gesetzlichen Regelungen in Deutschland gibt es jedoch auch noch Unsicherheiten, insbesondere in Bezug auf europäisches Recht. Glücksspielregulierungen fallen teilweise in die Kompetenz der Europäischen Union (EU), sodass der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine entscheidende Rolle bei der finalen rechtlichen Bewertung spielt.
Gerade für Anbieter, die nach 2020 eine Lizenz beantragt, aber noch nicht erhalten hatten, ist die Lage unklar. Der BGH hat sich jedoch auch zu diesen Fällen geäußert und stellt sich klar auf die Seite der Spieler:innen. Nach Ansicht des Gerichts sollen auch in diesem Fall verlorene Gelder zurückgefordert werden können. Dennoch bleibt abzuwarten, wie sich der EuGH zu dieser Frage positionieren wird.
Fazit: Spieler:innen haben gute Chancen
Die aktuelle Rechtslage bietet Spieler:innen, die bei nicht ordnungsgemäß lizenzierten Anbietern Geld verloren haben, gute Chancen auf eine erfolgreiche Rückforderung. Verstöße gegen die gesetzlichen Rahmenbedingungen deutscher Vorschriften machen viele Wettverträge nichtig – und eröffnen damit für Betroffene erhebliche rechtliche Möglichkeiten.
Dr. Schulte fasst zusammen: „Die Entscheidung des BGH ist ein Meilenstein. Während Anbieter bislang darauf gesetzt haben, dass viele Spieler:innen ihre Ansprüche gar nicht kennen oder geltend machen, ist nun klar, dass es juristisch sehr wohl Wege zur Rückforderung gibt. Wer hohe Verluste erlitten hat, sollte nicht zögern, sich kompetent beraten zu lassen. Die Erfolgsaussichten stehen gut.“
Besonders interessant ist der Aspekt, dass untere Gerichte sich an den Hinweisbeschluss des BGH halten müssen. Das bedeutet, dass Kläger:innen ihre Ansprüche mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit durchsetzen können – unabhängig davon, ob es zu einer finalen EuGH-Entscheidung kommt oder nicht. Angesichts der Milliardenumsätze der Glücksspielanbieter und der oft enormen individuellen Verluste der betroffenen Kund:innen ist dieses Thema von großer gesellschaftlicher Relevanz.
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