Der neue Rahmen der systematischen Internalisierung in der EU

Systematische Internalisierung auf dem Prüfstand: Wie transparent wird Europas Finanzmarkt wirklich? MiFID II und MiFIR sorgen für Bewegung – doch was bedeutet der neue Transparenzrahmen für Marktakteure?

Die Finanzmärkte Europas stehen selten still. Mit der umfassenden Reform der MiFID II und der begleitenden MiFIR-Verordnung hat die Europäische Union jedoch eine Welle der Veränderung ausgelöst, die insbesondere Wertpapierdienstleistungsunternehmen spürbar trifft. Im Mittelpunkt steht der neu gefasste Rahmen zur systematischen Internalisierung – ein Instrument, das bislang vor allem durch seine regulatorische Komplexität auffiel. Doch der europäische Gesetzgeber verfolgt klare Ziele: Mehr Transparenz, gesteigerte Effizienzen und fairen Wettbewerb. „Die neuen Regeln zur systematischen Internalisierung setzen Marktakteure zunehmend unter Druck, Transparenzpflichten nicht nur formal, sondern auch in der täglichen Praxis klar und nachvollziehbar zu erfüllen“, betont Rechtsanwalt Dr. Thomas Schulte, Rechtsanwalt aus Berlin.

Besonders brisant dabei ist die Verlagerung der Veröffentlichungspflichten im OTC-Handel von den systematischen Internalisierern zu speziell benannten Einrichtungen, den sogenannten Designated Publishing Entities (DPE). Diese Verschiebung löst zahlreiche rechtliche und praktische Herausforderungen aus, etwa bei der präzisen Berechnung der SI-Schwellenwerte oder bei der Erfüllung der Meldepflichten gegenüber der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Unternehmen müssen nun klären, wie sie diese Anforderungen korrekt umsetzen, um regulatorischen Risiken effektiv vorzubeugen – und zugleich den steigenden Ansprüchen nach Transparenz und Verantwortung gerecht zu werden.

Systematischen Internalisierung im Wandel – von Pflicht zur Freiheit?

Die Debatte über die systematische Internalisierung ist keineswegs neu. Bereits mit der Einführung der MiFID II mussten sich Marktteilnehmer mit einer Vielzahl neuer Transparenzanforderungen auseinandersetzen. Die bisherigen Vorgaben verlangten von Wertpapierfirmen, bestimmte Volumina an intern ausgeführten Kundenaufträgen zu überwachen und die sogenannten SI-Schwellenwerte regelmäßig zu berechnen. Wer als systematischer Internalisierer galt, unterlag besonderen Publizitäts-/Transparenzpflichten und der Aufsicht durch die jeweiligen nationalen Behörden. Die jüngsten Änderungen der MiFIR-Verordnung und die Reform der europäischen Finanzmarktarchitektur haben jedoch zu einem Umdenken geführt.

Ende einer Ära: Schluss mit der SI-Schwellenwertberechnung

Dr. Thomas Schulte, Rechtsanwalt
Dr. Thomas Schulte, Rechtsanwalt

Ein entscheidender Umbruch zeichnet sich insbesondere durch die Abschaffung der Verpflichtung von Investmentfirmen zur Berechnung der SI-Schwellenwerte ab. Die ESMA bestätigte bereits im Januar 2025 offiziell, dass fortan die aggregierten Daten zur SI-Berechnung nicht mehr bereitgestellt werden. Dies bedeutet für Wertpapierfirmen eine erhebliche Erleichterung in administrativer Hinsicht. Gerade in einem komplexen Marktumfeld, in dem regulatorische Anforderungen stets neue Anpassungen erfordern, ist dies als eine pragmatische Entscheidung zu bewerten. Diese Entwicklung kommentiert Dr. Thomas Schulte, Rechtsanwalt aus Berlin, wie folgt: “Die Regulierungslandschaft wird dynamischer und rückt verstärkt von bürokratischen Lasten ab. Die Abschaffung der SI-Schwellenwertberechnung trägt dazu bei, den Meldeaufwand für Unternehmen zu reduzieren.”

Neue Freiheit oder regulatorisches Risiko? Die Folgen für Unternehmen

Doch was bedeutet dies konkret für Wertpapierdienstleistungsunternehmen? Die BaFin hat deutlich gemacht, dass sie bis zur Implementierung eines europaweit einheitlichen SI-Meldeformulars gemäß Artikel 15 Absatz 5 MiFIR keine Verstöße gegen die bisherige Meldepflicht verfolgen wird, sofern Unternehmen die SI-Schwellenwerte nicht mehr berechnen. Eine pragmatische Haltung, die nicht nur dem europäischen Ansatz folgt, sondern auch den Unternehmen mehr Rechtssicherheit gibt. Es stellt sich jedoch die berechtigte Frage, wie die künftige Einstufung systematischer Internalisierung aussehen wird.

Designated Publishing Entities (DPE) – eine Revolution in der Transparenz?

Mit der Einführung der Designated Publishing Entities (DPE) nimmt die Marktstruktur eine neue Form an. Diese Stellen übernehmen ab Februar 2025 die Nachhandelstransparenzpflichten und entlasten damit die systematischen Internalisierer erheblich. Rechtsanwalt Dr. Schulte sieht hierin eine Entwicklung mit tiefgreifenden Folgen: “Die Verschiebung der Transparenzanforderungen hin zu spezialisierten Einrichtungen schafft eine effizientere Marktüberwachung. Unternehmen können sich vermehrt auf ihre Kerngeschäfte konzentrieren, ohne durch detaillierte regulatorische Berechnungen belastet zu werden.”

Compliance im Übergang – Kontinuität trotz Reformen

Aus praktischer Sicht bedeutet dies für Wertpapierdienstleistungsunternehmen, dass sie in der laufenden Übergangsphase weiterhin das von der BaFin bereitgestellte SI-Meldeformular nutzen können. Dies gewährleistet Kontinuität und verhindert regulatorische Unsicherheiten während der Implementierung der neuen Vorschriften. Dennoch bleibt abzuwarten, wie die tatsächliche Umsetzung der neuen Regelungen in der Praxis erfolgen wird und welche Anpassungen sich möglicherweise noch ergeben.

Wertpapierhandelsgesetz im Fokus – nationale Regeln neu definiert

Die nationale Anpassung des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) spielt in dieser Hinsicht eine besondere Rolle. Die erwartete Überarbeitung wird die Definition der systematischen Internalisierung präzisieren und an die neuen Vorgaben der MiFID II anpassen. Schon heute ist festzuhalten, dass das Zusammenspiel zwischen nationalen und europäischen Vorgaben wesentliche Auswirkungen auf die Marktteilnehmer hat. Die gesetzliche Grundlage hierfür findet sich in § 79 Satz 1 WpHG, der bislang die Berechnungsverpflichtung regelt und sich auf detaillierte Vorgaben der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 stützt. In Anbetracht der aktuellen Entwicklungen drängt sich die Frage auf, inwiefern diese Vorschriften künftig noch relevant sein werden.

Effizienz vs. Regulierung – eine Gratwanderung für Europas Finanzmärkte

“Regulierungen dienen dazu, Marktteilnehmer zu schützen und Transparenz herzustellen. Entscheidend ist jedoch, dass dies nicht auf Kosten der marktwirtschaftlichen Effizienz geschieht”, betont Dr. Schulte mit Nachdruck. Er verweist auf die Möglichkeit, dass die neue Rechtslage zu einer langfristigen Reduktion von administrativen Pflichten führen könnte. Dennoch müsse beobachtet werden, ob die neuen Veröffentlichungsmechanismen durch die DPEs effektiv funktionieren und Marktverzerrungen vermieden werden.

Marktentwicklung im Blick: Die BaFin als Kontrollinstanz

Im Hinblick auf die Marktpraktiken und regulatorischen Entwicklungen wird der Übergang von den bisherigen Transparenzpflichten zur neuen Struktur zweifellos ein zentrales Thema in den kommenden Jahren bleiben. Die BaFin wird genau verfolgen, wie sich die Praxis entwickelt und ob es gegebenenfalls Nachsteuerungsbedarf gibt. Unternehmen stehen derweil vor der Herausforderung, ihre Compliance-Prozesse auf die neuen Vorgaben auszurichten und gleichzeitig flexibel auf zukünftige Änderungen zu reagieren.

Weniger Last, mehr Transparenz – ein Modell für die Zukunft?

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Finanzaufsicht mit den jüngsten Reformen eine erheblich vereinfachte Handhabung der SI-Regeln ermöglicht. Die Entlastung der Unternehmen und Verlagerung der Transparenzpflichten auf spezialisierte Institutionen sind ein begrüßenswerter Schritt für die Effizienz der Finanzmärkte. Gleichzeitig bleibt abzuwarten, ob sich diese Änderungen in der Praxis bewähren und ob sich weitere Harmonisierungsschritte auf europäischer Ebene abzeichnen.

Bei weiteren Fragen oder individueller rechtlicher Beratung steht Dr. Thomas Schulte gerne zur Verfügung.

Rechtsanwaltskanzlei Dr. Thomas Schulte
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